Hochzeitsrede – der Vater der Braut

Beispiel I
Wo es Liebe regnet, wünscht keiner einen Schirm. Dieses alte dänische Sprichwort ist ein so einfaches, ein so wahres.

Heute also habt ihr eure Liebe besiegelt. Was ich nicht für möglich gehalten hätte, ist, dass ihr die alten Traditionen für euren Bund auswählt. Unsere alte Dorfkirche, eine kirchliche Trauung, der christliche Segen, eine große Hochzeitsfeier. Ich freue mich darü­ber! Jetzt ist es an mir, die alten Bräuche weiter fortzusetzen und die Brautvaterrede zu halten.

Aus Liebe zu heiraten, ist wohl eines der ganz großen Glücks­momente für zwei Menschen. Für die Familien, besonders für den Brautvater ist es ein gutes Gefühl, wenn er glaubt, seine Tochter in gute Hände zu übergeben.

Liebe Sonja, du bist eine junge, sehr emanzipierte Frau, die mit bei­den Beinen im Leben steht und die sehr gut für sich allein sorgen kann. Als Vater bin ich sehr stolz darauf, aber ich freue mich, dass du Hermann gefunden hast, einen Mann, der dir mit Rat und Tat zur Seite steht; obwohl meine Ratschläge dadurch an die zweite Stelle in deinem Leben rutschen. Ich leugne nicht, dass diese Erkenntnis mir ganz schön zu schaffen gemacht hat.

Lieber Hermann, wir kennen uns jetzt schon etwas länger als ein Jahr, und ich bin überzeugt, dass du Sonja verstehst und dich mit ihr in langen Diskussionen auseinander setzen kannst. Ich bin sehr froh, mit dir einen Sohn zu bekommen. Sehr gern übergebe ich dir meine, das heißt natürlich unsere Tochter. Ich sehe ihre strahlenden Augen, ihr Glück, ihre Zufriedenheit und innere Ruhe, und ich sehe auch einen guten Einfluss, den du ausübst. Immer wieder stelle ich fest, dass ihr euch ergänzt, dies gefällt mir.

Eure Zukunft liegt vor euch, ihr seid gebunden frei, ihr geht jeder euren Weg und trotzdem einen gemeinsamen. Ihr seid Kinder eurer Zeit, ihr habt Mut; wir, ihr Lieben, glauben an euch, wir sind stolz auf euch. Aus unseren Erfahrungen möchte ich euch mit auf den Weg geben, dass eine Ehe ein Bauwerk ist, sie muss jeden Tag errichtet werden.

Beispiel II
Nach all den prüfenden Jahren habt ihr jetzt den entscheidenden Schritt gewagt, wir sind hoch erfreut. Es sind acht Jahre ins Land gezogen, in denen ihr mit vielen Schwierigkeiten inner- und außer­halb der Beziehung gekämpft habt.

Lieber Max, ich stand nicht immer auf eurer Seite, immer wieder gab ich Liliane den Ratschlag: Trenne dich von ihm, eure Soziali­sation ist zu verschieden. Liliane folgte meinem Rat, ihr habt immer wieder auch Distanz aufgebaut und geschaut, wie es ohne einander geht. Die längste Phase war ein halbes Jahr, nie zuvor, liebe Gäste, habe ich meine Tochter so leiden sehen. Es hat mir fast das Herz gebrochen.

Diese Trennungs- oder besser Distanzphasen übertrugen sich auf die gesamte Familie. Kein Abstand war groß genug, Lilianes Ameri­kaaufenthalt lenkte sie nur unwesentlich ab von ihren Liebesgefühlen, die sie immer wieder Umtrieben.

Lieber Max, du hast deinen Weg gefunden, er unterscheidet sich gravierend von meinem, dem, den meine Familie bisher gefolgt ist. Liliane ist seit Generationen die Erste, die ausbricht aus ihrer Fami­lientradition. Ich verfolgte es mit Angst, lieber Max. Deine Werte sind ehrbar, deine Ziele definieren sich in der Wissenschaft. Um materielle Sicherheit geht es dir eigentlich nicht, sie scheint dir nicht wichtig, ja fast egal zu sein.

Als Vater muss ich jetzt damit leben - das heißt, ich hatte ja auch schon genügend Zeit, mich daran zu gewöhnen -, dass mein Schwiegersohn ein idealistischer Archäologe ist und kein realisti­scher Finanzexperte. Ein Bittsteller warst du nie, obwohl ich es dir unterstellte. Du bist ein Mann, der seinen Stolz hochhält und durchsetzt, das hat mir dann schon gefallen. 0606Gefallen, liebe Freunde, hat mir auch, dass Max um Lilianes Hand ganz offiziell bei mir angehalten hat; er ist ein Experte in Umgangs­formen.

Liliane, mein Schatz, heute nun hast du deinen Willen bekommen, und meinen (das heißt Mutters und meinen) Segen noch dazu. Beruhigt und belustigt hat mich Lilianes Statement: Dad, Vorsor­ge - vor und um die Ehe - ist die halbe Abfindung!

Ich möchte euch ein paar Sätze von Georg Christoph Lichtenberg mit auf den Weg geben:

Was die wahre Freundschaft und noch mehr das glückliche Band der Ehe so entzückend macht, ist die Erweiterung seines Ichs, und zwar über ein Feld hinaus, das sich im einzelnen Menschen durch keine Kunst der Welt schaffen lässt. Zwei Seelen, die sich vereinigen, vereinigen sich den­noch nie ganz so, dass nicht immer noch der bei­den so vorteilhafte Unterschied bliebe, der die Mitteilung so angenehm macht (...)

Lassen Sie uns das Glas erheben und auf dieses Paar junge, glückliche Paar anstoßen:

Auf Liliane und Max!
Auf die Liebe, und darauf, das sie das Leben erst lebenswert macht!
Werdet glücklich, ihr Zwei!

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