Der Liebe Lauf - Worte zur Hochzeit

Denke nicht, du könntest der Liebe Lauf lenken; die Liebe lenkt deinen Lauf - Kahlil Gibran

„Winkt dir die Liebe, so folge ihr, sind ihre Wege auch hart und steil,“ so beginnt der „Prophet“ Gibrans seine Rede an die Einwohner von Orphalese über die Liebe. Eigentlich sollten wir den Propheten in dieser für euch so wichtigen Stunde weiter-reden lassen; aus seinen Gedanken habt ihr euer Trauwort aus-gesucht; seine Gedanken könnten auch den Lebens- und Liebeslauf von Christen begleiten. Ich gestehe, dass ich selten so schöne Worte über die Liebe gelesen habe. Höchstens noch im Neuen Testament, im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes, den der Apostel Paulus geschrieben hat. Seine Verse über die Liebe sind von einer ähnlichen Kraft. Schließlich hängt das ganze Schicksal des Menschen an der Liebe; sie lenkt nicht nur seinen Lauf, sie spricht über ihn auch das Urteil. Viele haben versucht, sich gegen die Liebe zu stellen: sie haben Gewalt gepredigt oder Haß, sie haben die Macht verherrlicht und das Geld gepriesen und sind an alledem gescheitert. Denn wer die Liebe nicht hat, schreibt Paulus, dem nutzt das alles nichts. In den Augen der Welt waren sie vielleicht große Feldherren, Politiker und Geschäftsleute; in der Liebe und im wahren Leben blieben sie Zwerge. Denn die Liebe lenkte nicht ihren Lauf.

Was Liebe ist, das glaubte man in der Hafenstadt Korinth zu wissen, wie auch im imaginären Hafen, in dem der „Prophet“ auf sein Schiff wartet. Wie in allen Hafenstädten der Welt blühte das Geschäft mit der Liebe, und dennoch war es nur der billigste Aufguß von dem, was Paulus von der Liebe wußte, was ihr unter Liebe versteht. Die Liebe hat ihre Zeiten. Für euch hat sie heute Hoch-Zeit. Dann wird wieder eine Zeit der Ruhe kommen und der Aussaat, eine Zeit der Ernte und des Genießens, eine Zeit des Wartens, der Ungeduld und der Erfüllung; immer wird eure Liebe jung sein, lebendig und voller Phantasie, wenn sie euren Lauf bestimmt, wenn nicht ihr über die Liebe bestimmt. Und auch das ist der Liebe Lauf: Weil ihr euch liebt, gehört ihr euch, ohne den anderen zu besitzen; haltet ihr euch fest und müsst euch doch wieder loslassen; seid ihr füreinander da, ohne andere auszuschließen und abzustoßen. Weil ihr euch heute unter dem Zeichen der Liebe bindet, macht ihr euch frei. Dann wird sie euch alles schenken, was Paulus von ihr weiß: „Die Liebe ist gütig, sucht nicht ihren Vorteil, trägt Böses nicht nach. Sie freut sich an der Wahrheit. Erträgt, glaubt, hofft alles; hält allem stand. Vor allem: sie hört nie auf“ (nach 1 Kor 13,4-8).

Paulus spricht zunächst von der Liebe Gottes, der unsere Liebe nahe kommen muss, wenn sie menschlich sein will. Um das auszudrücken, feiert ihr hier in der Kirche. Und ihr bittet Gott, der die Liebe ist, dass er euch füreinander nahrhaft machen soll, unentbehrlich wie das tägliche Brot, erfreulich wie der Wein.

Davon spricht noch einmal Gibrans „Prophet“: „Die Liebe.
Gleich Garben von Korn rafft sie dich an sich. Sie drischt dich, um dich zu entblößen.

Sie siebt dich, um dich von Spreu zu befrei’n. Sie zermalmt dich, bis du weiß wirst.
Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist. Und dann beruft sie dich an ihr heil’ges Feuer, auf dass du heil’ges Brot werdest zu Gottes heil’gem Festmahl.“

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